Hannibal Lecter vs. Jack the Ripper
Hallo Jack,
ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Sie beim Vornamen nenne. Schließlich haben Sie diesen Künstler-namen selbst kreiert und Sie als Mr. Ripper anzuschreiben, empfände ich lächerlich. Also nenne ich Sie Jack.
Sie fragen sich sicherlich, aus welchem Grund ich mich an Sie wende. Tatsächlich bin ich es, der einige Fragen hat und eben diese möchte ich an Sie richten. Verstehen Sie mein Interesse an Ihrer Person aber bitte nicht als die gewünschte Verbrüderung zweier berüch-tigter Mörder. Vielmehr möch-te ich Sie mit den Augen des Psychiaters betrachten, möchte erfahren, welcher Dämon in Ihnen wütet, was Sie antreibt und was Sie am Leben erhält.
Sie haben kürzlich geheiratet, heißt es. Ich frage mich nun, wie die Leidenschaft für eine Frau mit der Ihrer nächtlichen Ausflüge konformgeht. Leben Sie in Ihrer Ehe Ihr wahres Wesen aus, oder spielen Sie dieser armen Seele etwas vor? Ich erkenne in Ihnen einen Menschen mit narzisstischen Tendenzen, der zu affektiven Störungen sowie einer Störung der Impulskontrolle neigt, bedingt durch ein trauma-tisches Erlebnis. Und dieses Erlebnis hat Sie wiederum an Ihre Ehefrau gebunden, genauso wie es Ihr amüsantes kleines Hobby vorantreibt. Unfassbar spannend!
Jemand wie Sie stellt für mich ein interessantes Studienobjekt dar. Sagen Sie, Jack, wenn Sie eine Niere entfernen oder meinetwegen eine Gebär-mutter – reizt es Sie nicht davon zu kosten? Sie werden doch kaum ein Fleisch-verächter sein und soviel ich weiß, sind Innereien in Ihrem Land eine Delikatesse. Eine zart gebratene Leber, in der Pfanne karamellisiert und mit Balsamico abgelöscht. Könnte das Ihre Geschmacksknospen nicht anregen? Und allein die Vorstellung, dass Sie den Tod dieser Kreatur damit endgül-tig besiegeln, dass Sie sich das Leben einverleiben, dass Ihr Magen alles verdaut und Sie es letztlich als etwas endgültig Totes ausscheiden. DAS, mein Lieber, ist wahre Macht!
Aber nun beeinflusse ich Sie ja – das hatte ich gar nicht tun wollen. Sie müssen wohl Ihren eigenen Weg gehen und ich bin gespannt darauf, was Sie mir zu erzählen haben.
Vielleicht besteht die Möglich-keit, dass wir eines Tages aufeinandertreffen und einen Chianti trinken. Ich bin gespannt auf den großen Jack the Ripper!
Mit freundlichen Grüßen,
Hannibal Lecter
Mr. Lecter,
ich kann nicht gerade sagen, dass ich über die von Ihnen angestrebte Korrespondenz er-freut bin. Dies begründet sich in vielerlei Dingen, die ich Ihnen gern erläutern möchte, damit Sie nicht versucht sind, sich auf Ihre stümperhafte Weise ein Urteil über mein Handeln zu bilden.
Punkt eins: Sie sind mir gänzlich unbekannt, Ihr Ruf eilt Ihnen nicht so weit voraus, dass er bis zu mir gelangt wäre. Aus welchem Grund also sollte ich Sie als mir eben-bürtig betrachten und Privates mit Ihnen erörtern? Ein Psychiater, sagen Sie? Soll ich also Ihre Wissensgier befrie-digen oder möchten Sie mich behandeln? Es ist mir ein Rätsel und ich bin nicht interessiert daran, weder das eine noch das andere zu bedienen.
Punkt zwei: Sie haben es sich herausgenommen, eine Fern-diagnose zu stellen, indem Sie sich auf Hörensagen verlassen haben. Auch kann ich mich nicht entsinnen, Sie zu irgend-einer Zeit um eine solche Diagnose gebeten zu haben. Damit fühle ich mich von Ihnen beleidigt und halte Sie in diesem Zuge für eine anmaßende und unprofessio-nelle Person.
Punkt drei: Sie schreiben von der Verinnerlichung der Orga-ne meiner Opfer. Sie schreiben zudem von der Ausübung von Macht, und doch lese ich aus Ihren Worten nur heraus, dass Sie selbst eine ekelerregende Leidenschaft zum Kannibalis-mus entwickelt haben. Gut, mögen Sie an einer mensch-lichen Leber Ihre Geschmacks-knospen in die Ekstase treiben – ich jedoch bin kein Jäger, der aus Genussgründen sein Wild erlegt. Ich empfinde eine intensive Geringschätzung für meine Opfer und würde mir im Leben nicht deren para-sitäre Innereien einverleiben wollen. Vielmehr übe ich meine Macht über sie aus, indem ich Ihnen das zufüge, was sie meiner Ansicht nach verdient haben: Geringschät-zung.
Ich bin zudem der Ansicht, dass Sie Ihren Opfern eine gewisse Ehre erweisen, indem Sie sie genießen. Aus diesem Grund halte ich Sie für schwach, denn mit dem Genuss gehen sie auch eine Verbindung mit Ihnen ein.
Und nun füge ich noch einen letzten Punkt hinzu, dieser ist jedoch der wichtigste und sollte Ihnen vielleicht ein recht deutliches Bild von mir zeichnen: Sie wagen es, in Ihrem liederlichen Brief meine Frau zu erwähnen. Ich kann Sie nur warnen, Lecter: Tun Sie das nie, nie wieder!
Jack the Ripper