Leseproben (in Reihenfolge):

 

-Jack

-Fake Life

-Sean Connelly - Kartenhaus

-Constantine - printed hell

-Von Ruhm und Ehre

 

Jack - Leseprobe

Bevor ich damit beginne von meinem Leben zu erzählen, möchte ich mich Ihnen vorstellen - nicht der Höflichkeit wegen, denn mir ist vollkommen gleich, ob Sie mich für einen Gentleman halten oder nicht... um ehrlich zu sein, werden Sie es wohl nicht tun. Aber vielleicht erkennen Sie durch mich auch die Notwendigkeit, etwas zu wagen und an Grenzen zu gehen, um Ideale und Werte zu verteidigen, und vielleicht heißen Sie meine Entscheidungen sogar gut...

Mein Name ist Ethan Jack Thurgood. Ich wurde am 04. März 1861 geboren, und zwar in der wunderbarsten Stadt Englands: In London. Jedoch sollten Sie meine Wortwahl nicht missverstehen - mit "wunderbar" meine ich nicht makellos. Nein, London ist bei weitem nicht fehlerfrei, und doch liebe ich meinen Geburtsort sehr. Ja, man könnte sogar sagen, dass ich bereit bin, ihn regelrecht zu verteidigen, und zwar gegen alles, was ihm schaden könnte.

Ob ich für England und meinen König in den Krieg ziehen würde? Mitnichten! Aber es ist doch vielmehr der innere Kampf, den es täglich auszutragen gilt. Sehen wir uns in den Straßen meiner ach so geliebten Stadt einmal um. Ja, riskieren wir hier und jetzt einen Blick in die dunklen Ecken, riechen wir an dem Dreck und der Verderbtheit, beobachten wir die hinterhältigen Tricks der Diebe, die üblen Machenschaften der Polen, Russen und Juden und lauschen wir der unsittlichen Wortwahl der Trunkenbolde und dem Gestöhne der Huren...

Dort drüben, in der Osborn Street, können wir ein Gebäude sehen, in dem Glücksspiel betrieben wird. Nein, natürlich habe ich nichts gegen ein spannendes Kartenspiel und einige gewagte Einsätze. Doch an diesem Ort werden Gewinne nicht mit guten Karten erzielt. Hier lässt man Hunde um ihr Leben kämpfen und das Gejaule der armen Kreaturen hallt noch viele Straßen weiter durch die Nacht. Ich mag dieses Geräusch nicht – es stört Londons Ruhe und macht auf den Pöbel aufmerksam, den ich zu dieser Zeit lieber aus meinen Gedanken gestrichen hätte.

Es ist kein weiter Fußmarsch bis zu einer der vielen Spielunken, in der man für kleines Geld große Mengen an billigem Fusel kaufen und sich bis zur Besinnungslosigkeit besaufen kann. Wer hier nicht Acht gibt, verliert schnell seinen letzten Penny oder gar sein letztes Hemd. Hier bekommt man alles: Alkohol, billige Weiber, ein Messer in den Rücken. Je nach Belieben.

Käufliche Liebe bekommt jeder Mann zudem auch noch in den sogenannten Freudenhäusern. Hier kann man sich jeglichen Fantasien hingeben – sie werden einem alle befriedigt, wenn der Preis stimmt. Ich habe selbst einmal eine Erfahrung an einem dieser Orte machen können und Sie können mir glauben – sie war mehr als nur erschreckend. Mich hat dieses Erlebnis geprägt, und zwar bis zum heutigen Tage. Was dort geschehen ist, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin, hat meine Lebensgeschichte geschrieben, auf die Sie hier so gespannt warten.

Was mir damals an diesem verruchten Ort widerfahren ist, werde ich Ihnen nur zu gern erzählen… doch vielleicht sollten wir das noch einen Moment aufschieben. Ich bin kein Freund davon, allzu bald zu viel von mir zu offenbaren. Schließlich möchte ich Sie nicht verschrecken. Nicht jeder kann nachvollziehen, weshalb ich so bin wie ich bin… vielleicht, wenn Sie sich ein wenig Zeit für mich nehmen, wenn Sie mich besser kennenlernen… ja, vielleicht verstehen Sie dann.

 

Jack - reading

Before I begin to tell you about my life, I would like to introduce myself. Not as a matter of courtesy, because I don't care whether you think I am a gentleman or not... to be honest, I don't think you will. But perhaps through me you will also see the need to dare and to go to limits in order to defend ideals and values, and perhaps you will even approve of my decisions in the end.

My name is Ethan Jack Thurgood and I was born on 04 March 1861 in beautiful London. But you should not misunderstand my choice of words - with "beautiful" I do not mean flawless. No, London is far from flawless, and yet I love my birth-place very much. Yes, you might even say that I am prepared to defend it properly, against anything that might harm it.

Would I go to war for England and my Queen? I don't think so. But it's more the internal struggle that needs to be fought every day. Let us look around the streets of this city. Yes, let's risk a look into the dark corners here and now, let's smell the dirt and depravity, let's watch the sneaky tricks of the thieves, the evil machinations of the Jews, Poles and Russians and let's listen to the immoral words of the drunkards and the moans of the whores.

Over there on Osborn Street we can see a building where gambling is conducted. No, of course I don't mind a thrilling card game and some daring stakes. But in this place, winnings are not made with good cards. They let dogs fight for their lives and the howling of the poor creatures echoes through the night many streets further on. I do not like this noise, it disturbs the quietness of London and draws attention to the rabble that I would rather have removed from my thoughts at this time.

It is not a long walk to one of the many gambling houses where you can buy large quantities of inferior booze for little money and get drunk until you lose consciousness. If you´re not careful, you will quickly lose your last penny or even your last shirt. Here you can get everything: alcohol, cheap women, a knife in the back. Whatever you prefer.

Every man gets purchasable love in the so-called brothels. There you can indulge in all kinds of fantasies, they are all satisfied if the price is right. I had an experience myself in one of these places and believe me, it was more than just frightening. This experience has left its mark on me, and has continued to do so to this day. What happened there made me the person I am today, wrote my life story, which you are waiting for so eagerly here. What happened to me back then in that wicked place, I'll be only too happy to tell you... but perhaps we should put that off for a moment. I'm not a fan of revealing too much of myself too soon, after all I don't want to scare you. Not everyone can understand why I am the way I am... maybe if you take some time for me, if you get to know me better... yes, maybe you will understand.

Fake Life - Leseprobe

Es war das Letzte, was sie erwartet hatte zu sehen. Er stand vor ihr und lächelte sie an. Oh, und dieses Lächeln wirkte so echt, ganz natürlich und warm, als würde er es so meinen. Wäre da nur nicht die Pistole in seiner Hand.

Evas Blick wanderte erneut zu dem blutenden Mann am Boden – Alex, ihr Freund. Sie war nach einem langen Tag im Büro in ihre gemeinsame Wohnung zurückgekehrt und hatte ihn so vorgefunden, auf dem Boden liegend, mit einer blutenden Nase, den Blick sorgenvoll auf sie gerichtet. Und über ihm standen diese beiden Männer, beide mit Pistolen bewaffnet, die auf ihn gerichtet waren. Doch einer von ihnen lächelte sie an.

„Na hallo“, hörte sie ihn sagen und selbst seine Stimme war warm und weich und schien zu seinem Lächeln zu passen.

Der Mann legte seinen Kopf leicht schräg, der Blick freundlich und ganz und gar nicht der eines Verbrechers. Dennoch konnte Eva nicht die Pistole in seiner Hand übersehen, die nach wie vor auf Alex gerichtet war.

„Schließ doch bitte die Tür, ja?“, bat der lächelnde Mann sie in ruhigem Ton.

Ihre Hände bebten, als sie seinem Wunsch nachkam und die Tür langsam schloss. Eva fühlte sich schwach und wollte viel lieber flüchten, als sich hier mit diesen… diesen Einbrechern?... einzuschließen. Und doch wäre es feige gewesen, fortzulaufen und Alex allein mit ihnen zu lassen. Zudem zweifelte sie daran, dass sie weit gekommen wäre. Sicherlich hätte sie binnen kürzester Zeit eine Kugel im Rücken gehabt. Also hatte sie die Tür geschlossen und sich den beiden damit ausgeliefert.

„Ist das… ein Überfall?“, wollte sie wissen, während sie sich ängstlich an den Türrahmen presste.

Wieder blickte sie Alex an und der schüttelte den Kopf, sein Blick mittlerweile betreten.

„Möchtest du es ihr nicht erklären?“, fragte ihn der lächelnde Mann.

„Eva, es tut mir so leid“, stammelte Alex, „du hättest gar nichts davon wissen sollen…“

„Nur weiter“, forderte der Mann ihn auf.

„Ich… hab mich da in etwas verwickeln lassen… das Geld war so knapp und ich dachte, ich könnte es uns etwas leichter machen…“, er brach erneut ab und schluckte schwer.

„Das ist alles?“, wollte der Mann wissen, das Lächeln war längst einem skeptischen Blick gewichen, „Mehr hast du ihr nicht zu sagen?“

Unsicher blickte Eva von einem zum anderen. Sie war schockiert und verängstigt, jedoch in gleichem Maß auch verwirrt. Worauf hatte Alex sich da nur eingelassen und wieso wollte dieser Mann, dass er sich ihr erklärte? Was war hier nur los?!

„Was soll ich denn sagen? Ich kann ihr doch nicht alles erzählen, verdammt.“

Ihr Freund wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund, dann starrte er frustriert auf seine blutverschmierte Hand. Der Mann hockte sich nun neben ihn, seinen bewaffneten Arm legte er dabei auf seinem Oberschenkel ab, wobei die Pistole locker zwischen den Knien lag. Er blickte Alex eindringlich an.

„Du hast mir gesagt, dass du es für sie getan hast. Wenn ich dir das glauben soll, rede mit ihr. Erzähl ihr, was du getan hast, Alex. Sonst sind wir hier schneller fertig, als dir lieb ist, ist das klar?“

Er nickte und blickte wieder zu ihr auf. Eva wagte es endlich, zwei Schritte vorzugehen, weg von der Tür, die für sie keinen Fluchtweg darstellte. Sie schluckte und blickte ihren Freund abwartend an. Eine einfache Erklärung für alles, das erhoffte sie sich von ihm, und doch wusste sie, dass es wohl nicht etwas Einfaches sein würde. Nein, sicherlich würde er ihr etwas erzählen, das sie im Grunde gar nicht hören wollte. Etwas, das ein Nachspiel haben würde. Etwas, das diese beiden Männer dazu verleitet hatte, Alex zu schlagen und zu bedrohen. 

Fake Life - reading

It was the last thing she´d expected to see. He stood before her and smiled at her. Oh, and that smile seemed so real, all natural and warm, as if he meant it. If only there wasn't a gun in his hand.

Eva's gaze wandered again to the bleeding man on the floor - Alex, her boyfriend. She had returned to their shared apartment after a long day at the office and found him lying on the floor with a bleeding nose, his eyes fixed on her with worry. And above him stood these two men, both armed with pistols, pointing at him. But one of them smiled at her.

"Well hello," she heard him say and even his voice was warm and soft and seemed to match his smile.

The man laid his head slightly tilted, his look friendly and not at all that of a criminal. Still, Eva could not overlook the pistol in his hand, which was still pointed at Alex.

"Close the door, will you?" the smiling man asked her in a calm tone.

Her hands trembled as she complied with his request and slowly closed the door. Eva felt weak and wanted to escape much more than to be here with these... with these... burglars. And yet it would have been cowardly to run away and leave Alex alone with them. Besides, she doubted she'd come far. Surely she would have a bullet in her back in no time. So she had closed the door and left herself at their mercy.

"Is this a robbery?" she asked, pressing herself fearfully against the door frame.

Again she looked at Alex and he shook his head, he looked ashamed now.

"Won't you explain it to her?" the smiling man asked him.

"Eva, I'm so sorry," stammered Alex, "you shouldn't have known any-thing about this..."

"Go ahead," the man told him.

"I... got myself into something... the money was so tight and I thought I could make it a little easier for us...", he broke off again and swallowed hard.

"That's all?" the man asked, the smile had long since given way to a sceptical look, "That's all you have to say to her?"

Eva looked from one to the other, uncertainly. She was shocked and frightened, but equally confused. What had Alex got himself into, and why did this man want him to explain himself to her? What was going on here?!

"What do you want me to say? I can't tell her everything, damn it!"

With the back of his hand her boyfriend wiped the blood off his mouth, then stared frustratedly at his bloody hand. The man now crouched down next to him, his armed arm resting on his thigh, with the pistol lying loosely between his knees. He looked at Alex urgently.

"You told me you did it for her. If you want me to believe that, talk to her. Tell her what you did, Alex, or we're gonna be done here before you know it."

He nodded and looked up at her again. Eva finally dared to take two steps away from the door, which for her was no escape route. She swallowed and looked at her friend, waiting. A simple explanation for everything she hoped he would give her, and yet she knew that it would probably not be something simple. No, surely he would tell her something she didn't really want to hear. Something that would have repercussions. Some-thing that had led these two men to beat and threaten Alex.

Sean Connelly - Kartenhaus - Leseprobe, erste Seiten

In einem Haus am Rande Killarneys lag ein toter Mann, kostümiert als Clown und entsprechend geschminkt, in einem kleinen Zimmer. Er war in mehrere zerschnittene Müllsäcke gewickelt, die mit Klebeband verbunden worden waren. Versteckt unter einem Bett, daneben ein in eine Tüte gewickeltes Messer, ein Paar Rollschuhe und eine kleine Kiste mit ausrangierten Stofftieren. Der Dielenboden war frisch gewischt, ein zerschnittenes Nachthemd lag in einer Ecke des Raumes. Auf dem Bett saßen zwei Teenager – ein blondes Mädchen und ein dunkelhaariger Junge. Angespannt blickten sie einander an, keiner von ihnen sprach ein Wort. An der Wand hinter ihnen hing ein Plakat des Filmes `Die fabelhafte Welt der Amelie ́, was – zusammengenommen mit der restlichen Dekoration des Zimmers – darauf schließen ließ, dass das Mädchen hier wohnte. Der Junge hatte seine Hand auf ihre gelegt und schien ihr Trost spenden zu wollen. Wäre da nicht der tote Clown unter dem Bett gewesen – man hätte es für ein ganz normales irisches Haus halten können... obwohl zurzeit in einigen irischen Häusern merkwürdige Dinge vor sich gingen. 

Wie in dem gleich nebenan – Millionen toter Insekten und Arachniden hatten es praktisch unbewohnbar gemacht und seine Besitzer daraus vergrault. In einem anderen – in derselben Stadt – bekam ein anderer Teenager des Nachts Besuch von einer Katze, die sich am Morgen in einen Menschen verwandelte und gleich ein Zimmer weiter verbrachte ein Mädchen ihre Abende damit, sich in kleineren Zaubern zu üben – was ihr auch gelang. Nicht weit entfernt gab es ein Haus, in dem nachts Fenster ohne jeden Grund zerbarsten und in dessen Garten totgeglaubte Tiere aus ihren Gräbern geholt und wiederbelebt wurden. Und würde man sich die Mühe machen weiter zu suchen, so würde man schon nach kurzer Zeit auf ein Haus stoßen, in dem sich bis vor einigen Tagen ein gigantischer Parasit das gesamte Gebäude hatte einverleiben wollen. Davor würde man einen unscheinbaren Blumenhügel entdecken, der einem unter Umständen eine Pforte in eine ganz andere Welt öffnen konnte. 

Unter dieser Betrachtungsweise war an diesem Haus eigentlich nichts Ungewöhnliches zu finden –

toter Clown hin oder her. Zu dieser Zeit war es ein ganz normaler irischer Haushalt.

...

 

Gestrandet im Nirgendwo

 

Die Straße glitt dahin, ohne dass es eine besondere Rolle für ihn spielte. Zumindest tat es das jetzt nicht mehr. Die Zeit für Argumentationen war vorüber, und was immer er vorgebracht hatte, war an ihnen abgeprallt wie Wassertropfen von einem Regenschirm. Seine Worte hatten nicht gezählt – nie. Sean Connelly fluchte innerlich. Das hier war eine absolut verdammte Scheiße! Wie herzlos seine Eltern doch waren, wie hart und erbarmungslos. Sie mochten sich mit diesem Umzug vielleicht wohlfühlen, doch für ihn war es eine Fahrt in die Verdammnis. Ausgerechnet Irland! Wer zur Hölle lebte denn da?

Wie gern wäre er doch in London geblieben. Das war eine wundervolle Stadt: lebendig, vielseitig, spannend. Genau was er wollte, was er dringend brauchte. Sean hatte die kleine Wohnung gemocht, die sie dort gemietet hatten, er mochte auch seine Freunde dort, besonders Alec, der gleich in der Wohnung nebenan gewohnt hatte. Er hatte seine Schule gemocht, seinen Sportverein, einfach alles. Doch nun musste er das alles hinter sich lassen, und wofür? Für ein paar lausige Erklärungen, die ihn in keiner Weise befriedigt hatten.

Ein kaltes Gefühl der Einsamkeit machte sich in seiner Magengegend breit. Konnte man sich noch kleiner und hilfloser fühlen als er in diesem Augenblick? Tatsächlich fiel ihm kein Umstand ein, der schlimmer sein konnte –  in seinem Leben war alles stets gut für ihn gelaufen. Dahin-gehend war er ein ausgesprochen verwöhnter Mensch. Doch nun war Sean der Meinung, dass seine Eltern schlichtweg rücksichtslos handelten. Ihm waren die Gründe egal gewesen, die sie ihm immer wieder aufgezählt hatten, davon hatte er einfach nichts hören wollen. Dass sie ihn aus seiner heilen Welt herausrissen und einfach nach Irland zogen, nahm er ihnen übel, und das würde sich mit Sicherheit auch nicht so bald ändern.

In seinem Trotz hatte Sean beschlossen, kein Wort mehr mit seinen Eltern zu wechseln, zumindest vorerst nicht. Wäre er etwas älter gewesen und nicht erst vierzehn Jahre, er hätte sich nicht so einfach fortschleifen lassen. Sicherlich hätte es eine Regelung geben können… in zwei Jahren, wenn er kurz vor dem Schulabschluss gestanden hätte. Das wäre vielleicht ein Grund zur Rücksichtnahme gewesen, doch mit vierzehn… mit vierzehn war man ein Niemand!

„Willst du eine Limo, Schatz?“, unterbrach seine Mutter die düsteren Gedanken.

Sie hatte sich zu ihm umgedreht und hielt ihm nun eine Getränkeflasche hin. Doch er blickte nur stumm aus dem Autofenster, bemüht gleichgültig.

„Er redet noch immer nicht mit uns, Jonathan“, sagte sie zu Seans Vater, der stirnrunzelnd am Steuer saß.

„Kannst du die beleidigte-Leberwurst-Nummer nicht mal langsam sein lassen und stattdessen lieber diese herrliche Landschaft genießen?“, fragte der.

„Ach lass, er gewöhnt sich schon dran. Sean hat noch die ganzen Ferien, um sich mit der neuen Heimat vertraut zu machen. Und wenn erst mal die Schule losgeht, ist das alles schon ein alter Hut. Und dann lernt er ja auch neue Freunde kennen.“

Seine Mutter lächelte gutgelaunt, und Sean biss frustriert die Zähne zusammen. Er wusste nur zu gut, dass sie diese Worte an ihn selbst und nicht an seinen Vater gerichtet hatte.

„Na wenigstens du scheinst dich darüber zu freuen. Dann muss ich mich nicht ganz so schuldig fühlen.“

Besorgt blickte sein Vater in den Rückspiegel und beobachtete ihn.

„Du kannst doch nichts dafür, wenn deine Firma Einsparungen macht, Liebling“, warf seine Mutter ein, „und unsere Wohnung war wirklich viel zu teuer. Dein neuer Job ermöglicht uns ein viel besseres Leben als bisher. Denk doch mal darüber nach: Wir ziehen endlich in ein Haus! Daran war doch bislang nicht im Traum zu denken. Natürlich freu ich mich. Und das Landleben wird der Miesmuschel da hinten auch guttun.“

 

Sean starrte noch immer stumm aus dem Fenster, als sie schließlich von der Landstraße abbogen. Sie fuhren auf einer kleinen Straße weiter, die auf beiden Seiten von überwucherten Mauern gesäumt war, dahinter erstreckten sich weite Wiesen. Hier und da standen ein paar Schafe und fraßen von dem saftigen Grün.

Gelangweilt blickte er sich um und entdeckte ein Straßenschild, das er zuerst nicht lesen konnte, denn es schien in einer ihm völlig fremden Sprache geschrieben zu sein. Aber schließlich entdeckte er in etwas kleinerer Schrift darunter die Worte: „Killarney – 5 km“. Der Wagen wurde langsamer und sie bogen erneut ab, diesmal auf einen kleinen Schotterweg. Und schon stoppte sein Vater das Auto.

Das war´s dann wohl, wir sind endlich am Arsch der Welt angekommen, dachte Sean zähneknirschend. Er überlegte kurz, ob er einfach im Wagen sitzen bleiben sollte, beschloss aber, dass es dafür entschieden zu warm war. Langsam trottete er seinen Eltern nach, die schon zum Eingang des Hauses vorgegangen waren. Dort stand ein Ehepaar, das sie offenbar erwartet hatte. Die beiden schüttelten seinen Eltern die Hände und lächelten ihm zu.

„Du musst Sean sein“, sagte die Frau freundlich.

Sie war ungefähr im selben Alter wie seine Mutter, war aber deutlich kleiner und rundlicher, auch war sie nicht so modern gekleidet. Ein Landei eben, dachte er.

„Wir sind die O´Reillys und wir vermieten Euch das Haus. Es hat dem Großvater meines Mannes gehört.“

Ihr Mann lächelte ihm ebenfalls freundlich zu. Sean nickte und bemühte sich, zurück zu lächeln. Schließlich wandten sich die beiden wieder seinen Eltern zu und sein Lächeln erstarb. Es scherte ihn nicht, ob man sich hier um ihn bemühte oder nicht – das spielte in seiner Welt keine Rolle. Hier und jetzt war er ein Rebell, nur er selbst war wichtig… und doch war er wohl der unwichtigste Mensch auf diesem Planeten, wie es schien.

„Ich hoffe, wir haben Ihnen nicht zu viel versprochen. Sie können sich gern noch ein wenig umsehen, bevor wir Ihnen den Mietvertrag und die Schlüssel überreichen“, sagte Mrs. O´Reilly, dann ging sie zusammen mit ihrem Mann und Seans Eltern ins Haus.

Er blickte sich unterdessen um – das Haus war klein aber schön. Es war ein Cottage, das ein Reetdach besaß und dessen Tür in einem leuchtenden Blau gestrichen war. Der Weg zur Eingangstür war gesäumt von gelben Blumen, und auch der Rest des Gartens war übersät mit bunten, wunderschönen Blumen, Ranken und Büschen. Sean war überrascht, wie sehr es ihm hier gefiel – doch anmerken lassen wollte er sich das nicht. Schließlich ging er um das Haus herum. Er befand, dass er sich ruhig mal umsehen konnte, wenn er hier schon leben sollte.

Der Garten war recht groß, selbst einige große Bäume fanden Platz darin, ohne dass es düster wirkte. Sean vermochte nicht zu sagen, was für Bäume es waren, aber der größte und dickste musste eine Eiche sein. Vor dem warf die Erde einen Hügel auf, auf dem viele bunte und stark duftende Blumen wuchsen. Die Sonne ließ ihr Licht so durch das Blattwerk der Eiche scheinen, dass ihre Strahlen auf dem Hügel zu tanzen schienen.

Fasziniert beobachtete Sean das Schauspiel. Es kam ihm fast so vor, als würden die Glockenblumen leise im Wind dazu läuten, und zusammen mit dem Summen der Bienen, dem Zwitschern der Vögel und dem Rauschen der Blätter im Wind, wirkte alles irgendwie verzaubert auf ihn. Eine erstaunliche Ruhe erfüllte ihn mit einem Mal, und er sog die warme Sommerluft tief in seine Lungen.

Gerade hatte er beschlossen, sich auf den Hügel unter der Eiche zu setzen und die Sonnenstrahlen zu genießen, als sich die Tür zum Haus öffnete. Die O´Reillys verabschiedeten sich von seinen Eltern und gingen durch das Gartentor.

„Sean, willst du dir dein neues Zimmer anschauen?“ rief seine Mutter zu ihm herüber.

Er seufzte, wandte sich von dem lauschigen Plätzchen ab, das er eben entdeckt hatte, und ging zum Haus. Die Blumen am Wegesrand leuchteten hell in der Sonne und ließen alles frisch und lebendig erscheinen. Zumindest der Garten war schön, stellte er fest.

Schließlich betrat Sean das Haus und blickte sich um. Die Eingangshalle erschien ihm hell und freundlich. Sie ging nahtlos in den Wohnbereich über, in dem ein riesiger Kamin seinen Blick auf sich zog. In London hatten sie auch einen Kamin gehabt, aber der war viel kleiner und leider nur elektrisch gewesen. Dieser hingegen war einfach gigantisch! Er nahm fast die gesamte Wand ein und besaß innen auf beiden Seiten der Feuerstelle jeweils eine steinerne Sitzbank.

„Mir hat er auch gleich gefallen“, sagte seine Mutter lächelnd, „Dein Zimmer ist übrigens oben. Du hast sogar zwei zur Auswahl, wenn du willst.“

Kommentarlos stieg er die Treppe hinauf ins obere Stockwerk. Hier waren die Decken wesentlich niedriger als unten, aber dennoch war es hell und wohnlich. Er blickte in den ersten Raum zu seiner Rechten – das war eindeutig das Elternschlafzimmer, jedenfalls stand dort schon ein großes Bett in der Mitte des Raumes. Er ging in das Zimmer gegenüber. Es war kleiner, besaß jedoch ein großes Fenster und ein eigenes kleines Bad – das würde dann wohl sein Zimmer werden. Sean ging weiter, entdeckte ein großes Badezimmer mit Wanne und schließlich einen weiteren Raum. Zuerst wirkte der recht klein und dunkel auf ihn, doch dann bemerkte er, dass der Raum ums Eck ging. Dahinter war er hell und nochmal so groß, wie im vorderen Bereich. An einer Wand befand sich ein eingebauter Schrank. Sean warf einen Blick aus dem Fenster und da war er wieder, der kleine bunte Hügel unter der Eiche. Hell leuchtete er zu ihm hinauf und in diesem Augenblick war ihm klar, dass es dieses Zimmer sein würde.

...

Constantine - printed hell - Leseprobe

Wer ich bin

 

Da war dieses Licht. Ein heißes, brennendes Licht… alles schien zu verglühen. Ich denke, ich habe geglaubt, zu erblinden. So stelle ich es mir zumindest vor. Wenn alle Farben ausgelöscht sind, wenn es keine Kontraste mehr gibt, wenn die Augen nichts mehr fassen können – dann muss es Blindheit sein. Und die sengende Hitze sprach ja auch dafür, dass mein Sehvermögen zu Schaden gekommen war… nur das weiße Licht nicht. Sollte nicht alles schwarz sein? Aber vielleicht waren meine Nerven auch schlichtweg überreizt, vielleicht gaukelte mein Gehirn ihm nur diese blanke Fläche vor, weil es sonst zu nichts mehr in der Lage war. Nun, ich fühlte sehr wohl etwas, aber vielleicht bedeutete es ja auch, dass ich in diesem Augenblick verbrannte. Es war so heiß!

„Vom Leib soll der Herr im Himmel dir die Sünden brennen, die Flammen werden dich reinwaschen!“

Elias schrie, als man ihm mit glühenden Eisen entgegentrat. Jemand goss eine stinkende Tinktur über den heißen Stahl und er entflammte. Mit diesem Instrument der Qualen kamen sie ihm nun so nah, dass er die Hitze nur zu gut spüren konnte… die Hitze… diese Hitze…

Diese Zeilen hatte ich gerade noch gelesen, und nun war es mir selbst so heiß. Ja, ich hatte gelesen! Was war denn nur geschehen?

Ich hatte in meinem Sessel gesessen, Emily war auf dem Sofa gewesen. Sie selbst war nicht in der Stimmung für ein Buch gewesen, hatte sich stattdessen ihr Häkelzeug genommen und für die kleine Sarah eine Kuscheldecke gehäkelt. Ich hatte kurz zuvor zu ihr hinübergesehen und irgendwie musste sie das gemerkt haben. Sie hatte aufgeblickt und mir zugelächelt. Dann waren wir wieder unseren Tätigkeiten nachgegangen. Sie hatte gehäkelt und ich… gelesen. Gelesen in Le rún urchóide!

Ah, dieses vermaledeite Buch. Ich hätte nicht darin lesen sollen. Paddy hatte mich gewarnt. Deutlich hatte er mir gesagt, dass dieses verdammte Buch eine Heimtücke besitzen würde, die ich nicht unterschätzen dürfte. Na gut, nun wusste ich zumindest, wovon er sprach – dieser blöde Wälzer hatte etwas angerichtet, nur wusste ich nicht, was. Und was war jetzt? War ich tot? War es wohl so, wenn man starb? Wurde alles von einem grellen Licht verschluckt, das einem die Seele aus dem Leib brannte? Und wenn ich tot war, war es dann auch Emily?

Ich wusste einfach nicht mehr, was ich fühlen sollte. Ich wusste ja noch nicht mal, ob ich richtiglag – war ich nun tot, oder was?! Und wenn, wieso zu Hölle? Ein Buch der Geschichten… nein, DAS Buch der Geschichten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Emily es aufgetrieben hatte. Gesucht hatten wir gemeinsam danach, doch sie war hartnäckiger gewesen, hatte sämtliche Antiquariate abgesucht… diese nutzlose Forschungsabteilung hatte es nicht, und dafür, dass es so besonders sein sollte, waren sie nicht mal bemüht darum, es in ihre Finger zu bekommen. Doch sie hatte es geschafft – meine zauberhafte Frau.

Das Spannende daran war, dass es die Macht besaß, alle Geschichten, die jemals geschrieben worden waren, in sich zu tragen. Vorsichtshalber hatten wir es zuerst Paddy überlassen, und eben der hatte uns gewarnt. Heimtücke war sein Wort dafür gewesen… da war doch was. Richtig, er hatte gemeint, dass es seinen Leser vereinnahmen könne. War das mit mir passiert? Hatte dieses Buch mich... ja was? Gefressen? Nein, so funktionierten die Dinge nicht.

Ich musste überlegen und meine Gedanken kreisten. Wie hatte noch mal alles begonnen? Im Grunde mit Emily... und damit, dass ich versucht hatte, sie davon zu überzeugen, dass die Dinge tatsächlich existierten, denen Paddy und ich nachgegangen sind. Paddy... er war mein Mentor, mein Studienprofessor, aber vor allem ein guter Freund.

Ich hatte Paddy O´Reilly bereits gekannt, bevor ich Emily begegnet war, doch nicht sehr lange. Bereits von Anfang an hatte ich mich mit meinem Professor gut verstanden, und schon bald hatte der mich mit in sein Heim genommen und mir seine Unterlagen gezeigt. Dabei hatte es sich nicht um gewöhnliche Studienmaterialien gehandelt - nein, etwas ganz Anderes betrieb Paddy in seiner Freizeit: Er studierte die „regionale mythologische und spirituelle Genealogie“, oder ganz einfach die Feenwelt Irlands - das unsichtbare Reich. Es war irgendwie irrwitzig, denn ich kann mich nicht erinnern, sein Interesse auch nur ein einziges Mal hinterfragt zu haben. Stattdessen erschien mir alles ganz logisch – Mythologie war für mich kein Hirngespinst, keine Märchenwelt… und so ist es auch heute noch. Aber nun habe ich ja auch den Beweis dafür.

Im Alter von achtzehn Jahren ging ich an die Universität, um mich der ordinären Biologie zu widmen. Paddy O´Reilly war einer meiner Professoren. Er brachte mich der hiesigen Mythologie näher, und als ich ein Jahr später der Frau meiner Träume begegnet bin, hat er mir nahegelegt, in die Gap Road zu ziehen. Er selbst lebte dort und ein Stück die Straße hinunter gab es ein kleines Haus, das für eine erschwingliche Summe zu erstehen gewesen war. Unscheinbar ist es gewesen, bis Emily dort mit mir eingezogen ist. Ich möchte es ganz sicher keinen Glücksfall nennen, dass zwei Jahre zuvor mein Vater verstorben war und mir ein wenig Geld hinterlassen hat – und doch kam mir diese Erbschaft sehr gelegen, denn ich wusste sofort, dass ich ein Heim und eine Familie mit dieser Frau haben wollte.

Gelb hatte sie das Haus gestrichen, weil sie es fröhlich mochte. Im Grunde nichts, was für mich wichtig war. Dass wir nach zwei Jahren Beziehung geheiratet haben und in ein gemeinsames Heim gezogen sind, war wichtig für mich. Ebenso, dass sie anderthalb Jahre später schwanger war und dass im Jahr 1970 unsere Tochter Sarah zur Welt gekommen ist – das waren Dinge, die mir die Welt bedeutet haben und es noch immer tun!

Anfangs habe ich Emily nicht in meine Forschungsarbeit mit Paddy eingeweiht. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich als einen bodenständigen Mann ansah und gerade das an mir liebte. Nicht, dass ich mich selbst für einen Spinner gehalten hätte. Aber mir war wohl bewusst, dass nicht jeder solch eine Faszination als charmanten Charakterzug ansehen würde und ich hatte zu große Angst, sie wieder verlieren zu können. Doch dann waren wir verheiratet und ich war mir ihrer Liebe so sicher, dass ich ihr von allem erzählt habe.

Eigentlich könnte ich lachen bei dem Gedanken daran, wie sie mich damals angeblickt hatte. Wie sehr sie doch an meinem Verstand gezweifelt haben musste und wie sehr sie im Gegensatz dazu versucht hatte, mir zu verheimlichen, wie sie empfand. Doch ich habe es gesehen – in ihren Augen. Aber dass sie versucht hat, mich dennoch zu unterstützen, hat meine Liebe zu ihr noch mehr verstärkt… wenn das überhaupt möglich gewesen ist. Ich denke aber, dass sie mit der Zeit immer offener für meine Leidenschaft wurde. Die Zweifel schienen nach und nach von ihr abzufallen, jedoch war sie diesem Thema nie derartig verfallen, wie Paddy und ich es waren. Und doch hatte sie dieses verdammte Buch aufgetrieben. Nur für mich.

Tja, und da stand ich nun, mitten im Nichts. Im weißen, gegenstandslosen Nichts. Wo ich war und was mit mir geschehen würde – diese Gedanken kamen mir wohl, und doch war die Sorge um den Verbleib meiner Frau so viel größer. Die Erinnerung an den letzten Blick, den wir einander zugeworfen hatten, geisterte noch durch meinen Kopf. Gelächelt hatte sie, und dabei hatten ihre tiefblauen Augen gefunkelt. So war das mit Emily – es gab immer einen Teil an ihr, der funkelte, der so intensiv war, dass er einen ganz eigenen Charakter beschrieb. Stark war sie, selbstbewusst, schelmisch, aufgeschlossen, humorvoll, liebevoll, erotisch… Sie hatte ganz fantastisches rotes Haar, einige Sommersprossen fanden sich in ihrem Gesicht und auch auf ihren Schultern wieder, die Lippen waren voll und sinnlich und diese Augen – groß, blau und unergründlich!

Auch jetzt noch liebe ich sie, wie könnte ich anders? Und wie könnte ich nicht jede Sekunde unserer gemeinsamen Geschichte in meinem Kopf abgespeichert haben? Unsere erste Begegnung, der erste Kuss, gerade mal zwei Tage darauf. Wir waren jung und hoffnungslos verliebt gewesen. Ach, es war alles so schnell gegangen und es hatte sich die ganze Zeit über einfach perfekt angefühlt. Das erste Mal, das wir einander geliebt haben, war für mich nicht mein erstes Mal gewesen, jedoch ihres. Herrje, wie lange habe ich gewartet, bis ich ihr einen Heiratsantrag gemacht habe? Kaum länger als ein halbes Jahr! Und während in vielen Teilen der Welt die sexuelle Revolution im Gange war, haben wir im Jahr 1968 geheiratet und uns für ein Leben aneinandergebunden.

Ein Leben, das nun vielleicht vorüber war. Ein Leben, von dem ich nicht wusste, ob es jemals wieder an ihrer Seite stattfinden würde.

Das weiße Licht hatte diese brennende Hitze mit sich gebracht, beides schwand nach einer Weile. Wie lang es gedauert hatte, kann ich schwer einschätzen, denn ich hatte mich gänzlich in meinen Gedanken verloren. Vielleicht waren es Sekunden gewesen, vielleicht auch einige Stunden. Doch als Licht und Hitze gingen, blieben Dunkelheit und Kälte. Letztere jedoch nur, weil der Kontrast so intensiv war. Das Brennen wurde aus meinen Zellen gelöscht und die klare Nachtluft fühlte sich an wie Frost.

Wo ich mich wohl befand? Es war dunkel, und doch war es keine blinde Schwärze. Auch spürte ich, wie sich die Luft bewegte. Ich hatte Boden unter den Füßen, ich hörte Blätterrauschen, hörte eine Eule. Nun gut, war ich also am Leben. Unter Umständen hatte ich ja Glück – vielleicht war alles nur ein Traum gewesen und ich hatte geschlafwandelt. Vielleicht war das hier aber auch ein Traum… oder es war etwas ganz Anderes, das ich mir nur noch nicht eingestehen wollte.

Von Ruhm und Ehre - Leseprobe

Er musste geschlafen haben. Colin hatte keine Ahnung, wie ihm das gelungen war. Wahrscheinlich war die Erschöpfung seiner Angst irgendwann überlegen gewesen. Doch nun, wo er wieder wach war und begriff, wo er sich befand, verkrampfte sich sein Magen erneut. Der Gestank war weniger deutlich wahrzunehmen als am Anfang, aber er war dennoch da. Es war stockfinster um ihn herum und nur die Geräusche von leisem Murmeln und einem feuchten, rasselnden Husten gaben ihm eine kleine Orientierungshilfe. Nicht, dass er es gewagt hätte, sich fortzubewegen. Er hatte ein Plätzchen gefunden, das einigermaßen trocken zu sein schien und es lag vor allem fernab des Toten, auf den er sich bei seiner Ankunft übergeben hatte.

Sein Magen knurrte und sein Mund war ausgetrocknet. Würde er an diesem Ort bleiben, bis er verhungert oder verdurstet war, oder würde man ihn irgendwann zu seiner Hinrichtung holen kommen? Colin hasste es, nicht zu wissen, was mit ihm geschehen sollte. Er hasste es, dass er nichts sehen konnte und er hasste es, dass er so dumm gewesen war, in diese Situation zu geraten. Sein Körper schmerzte von den Prügeln, die er die letzten Wochen über tagtäglich hatte einstecken müssen und seine Sinne spielten langsam verrückt. Die Dunkelheit und die Dehydration taten ihm nicht gut.

Irgendwo kam ein Licht her. Colin glaubte zuerst, dass er sich nur einbildete, etwas sehen zu können, doch als er plötzlich die Gestalten in seiner Nähe ausmachen konnte, wusste er, dass es tatsächlich heller geworden war. Nicht viel, aber es genügte, um einen Eindruck seines Kerkers zu bekommen.

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